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Sprache als Tor zu einer neuen Welt

15 Februar 2024

Im Sprachunterricht sollten man sich nicht nur auf Niederländisch und Englisch beschränken, sondern Mehrsprachigkeit fördern. Das ist die Kernbotschaft von Prof. Dr. Marije Michel, Professorin für Zweitspracherwerb. "Wir brauchen dringend Menschen, die ein tiefes Verständnis für die Sprachen, Kulturen und Gemeinschaften der uns umgebenden Länder haben."

Tekst von Lieke van den Krommenacker | Fotos von Reyer Boxem

"Eine Sprache zu lernen bedeutet, sich eine andere kulturelle Identität anzueignen. Dafür muss man Interesse wecken."
"Eine Sprache zu lernen bedeutet, sich eine andere kulturelle Identität anzueignen. Dafür muss man Interesse wecken."

Aus, bei, mit, nach, seit, von, zu, gegenüber, entgegen, an … vorbei: plus drei! Wer je Deutsch an niederländischen Schulen gelernt hat, dem werden diese Präpositionen und die dazugehörige Eselsbrücke für den richtigen Kasus wahrscheinlich bekannt vorkommen. Mit etwas Pech ist Deutsch jedoch auch als "die Sprache mit all diesen komplizierten Fällen" hängengeblieben. Das ist bedauerlich und unnötig, sagt die Professorin für Zweitspracherwerb Marije Michel. Sie studierte Niederlandistik und Germanistik, spricht auch Englisch, Französisch und Italienisch und unterrichtet am Studiengang Europäische Sprachen und Kulturen der Universität Groningen. "Sprache ist das Tor zu einer neuen Welt", sagt Michel. "Und das bedeutet viel mehr als nur das Auswendiglernen von Wörtern und Grammatik."

Dass vielerorts im Sprachunterricht trotzdem der Schwerpunkt darauf liegt, ist Michel ein Dorn im Auge. "Eine Sprache zu lernen bedeutet, sich eine andere kulturelle Identität anzueignen. Dafür muss man Interesse wecken: schaut Filme, hört Radio, zeigt, wie Land, Sprache und Gesellschaft miteinander verbunden sind."

Antrittsvorlesung in acht Sprachen

Am 16. Februar wird sie ihre Antrittsvorlesung halten. Bei der Rektorin reichte Michel einen besonderen Antrag ein, anders als üblich die Vorlesung in acht Sprachen halten zu dürfen. Neben Niederländisch und Englisch wird ihr Plädoyer teilweise auf Französisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch, Schwedisch und Russisch gehalten - das sind alle Sprachen, die im Studiengang Europäische Sprachen und Kulturen angeboten werden. Ihre Botschaft: Wir sollten uns nicht auf nur zwei Sprachen, zum Beispiel Niederländisch und Englisch, beschränken.

Michel: "Es gibt eine ganze Reihe sprachlicher und kultureller Erkenntnisse, die man durch das Betrachten verschiedener Sprachen und Kulturen gewinnen kann. Das ist nicht nur wichtig, um den eigenen Horizont zu erweitern, sondern auch für uns als Gesellschaft. Wir leben in einer komplexen Zeit, in der es einen Trend zum Nationalismus gibt. Die Konzentration auf die eigene Herkunft und Kultur hat ihre Vorzüge, aber ich glaube, dass man seine eigene Sprache und Kultur nur dann wirklich verstehen kann, wenn man auch andere Sprachen und Kulturen betrachtet. So lernt man, dass das Andere nicht seltsam oder merkwürdig ist, sondern interessant."

Üben, üben, üben

Michels Liebe zu Sprachen hat sie quasi in die Wiege gelegt bekommen. Sie wuchs mit niederländischen Eltern in einer internationalen Familie in der Schweiz auf. Ihre Mutter war Französischlehrerin, ihr Vater heiratete eine Australierin. Für ihr Studium zog sie in die Niederlande und später nach Berlin. Ihr Mann ist Italiener, und sie haben eine Weile gemeinsam in England gelebt. Sie hat am eigenen Leib erfahren, was viele Studien belegen: Um eine Sprache zu lernen, muss man in sie eintauchen und üben, üben, üben.

Aber das ist nur möglich, wenn es genug Angebot gibt. "Dass es in den Niederlanden so viele Menschen gibt, die sehr gut Englisch sprechen können, liegt nicht nur am Unterricht. Es liegt auch daran, dass es so viel Englisch in den Medien gibt. Ähnlich gibt es in den Niederlanden eine ältere Generation, die sehr gut Deutsch spricht, weil sie früher häufiger deutsche Fernsehsendungen gesehen hat. Denn das war alles, was man bekommen konnte."

"Wenn jemand sagt: Ich studiere Französisch, denkt man sofort, oh la la, Paris, Baguettes!"
"Wenn jemand sagt: Ich studiere Französisch, denkt man sofort, oh la la, Paris, Baguettes!"

Staubiges Image

Eines steht für Michel fest: Mit dem niederländischen Fokus auf die angelsächsische Welt werden wir nicht weit kommen. Englisch ist nicht mehr die einzige weltweit bedeutende Sprache. "Wir brauchen dringend Menschen, die ein tiefes Verständnis für die Sprachen, Kulturen und Gesellschaften der uns umgebenden Länder haben. Wir bilden hier Studierende in russischer Sprache und Kultur aus. Menschen, die lokale Zeitungen und Telegrammnachrichten lesen können. Und damit meine ich nicht nur lesen, sondern verstehen, was in solchen Nachrichten ausgedrückt wird."

So leidenschaftlich Michel ihr Plädoyer vorträgt, so lauwarm ist das Interesse an bestimmten Sprachen wie, nun ja, ihrer großen Liebe Deutsch zum Beispiel. Die Begeisterung ist gering, der Lehrermangel groß, und die Sprachen verschwinden aus den Lehrplänen. Michel und zwei Kolleginnen von anderen Universitäten äußerten ihre Bedenken über diese Entwicklungen und das staubige Image von Sprach- und Kulturwissenschaften kürzlich in einem Meinungsbeitrag im NRC Handelsblad. "Wer keinen hochwertigen Sprachunterricht in der Schule erhält, entscheidet sich nicht für ein Sprachenstudium. Und wer die Sprache nicht studiert, wird kein:e Lehrer:in - der Teufelskreis ist geschlossen", so das Trio.

Bier und Wurst

Hat Michel eine Erklärung für dieses Desinteresse? "Ich glaube, wir sind nicht so gut darin, an weiterführenden Schulen eine positive Sicht auf bestimmte Kulturen und Einstellungen gegenüber Sprachen wie Deutsch zu unterstützen und zu vermitteln. Schau mal, wenn jemand sagt: Ich studiere Französisch, denkt man sofort, oh la la, Paris, Baguettes! Aber wenn man sagt: Ich studiere Deutsch, denkt man an etwas anderes." An was denn? "Na ja, Bier und Wurst? Solche Dinge. Und es ist sehr bedauerlich, aber es gibt auch einfach ein historisches Erbe, das immer wieder auftaucht, und das der aktuellen Bedeutung des deutschen Sprachraums und seiner wichtigen Rolle in Europa absolut nicht gerecht wird."

Das Gute ist: Diese Einstellung gegenüber und stark kulturell geprägten Ansichten über Sprachen und Kulturen sind gut beeinflussbar, vorausgesetzt, im Unterricht wird auf Inhalte gesetzt. Und dafür brauchen wir nicht nur Präpositionen und Grammatik, sondern eher Popphänomene und (ehemalige) Influencer wie Joost Klein. Michel: "Er hat jetzt einen riesigen Hit in Deutschland, womit Jugendliche sofort eine Verbindung zu diesem Land haben. Und er spricht auch Friesisch, Niederländisch und Englisch. Verwenden wir solche Beispiele im Unterricht, knüpfen wir an die Aktualität an und bleiben kreativ. Viele Menschen, besonders hier in der Region, sind sich gar nicht bewusst, wie mehrsprachig sie sind. Ein solches Beispiel aus der Nähe spricht an."

Noch etwas: Wir müssen viel öfter betonen, was Schüler:innen können, und was gut läuft. "Im Sprachunterricht konzentrieren wir uns oft sehr darauf, anzugeben, was Lernende falsch machen", stellt Michel fest. "Dann bekommt man einen Text zurück, und der ist dann komplett rot markiert. An einigen Schulen gibt es sogar Punktabzug für jeden Fehler, so dass es passieren kann, dass ein:e Schüler:in eine negative Note bekommt. Ja, die schreibt dann nächstes Mal gar keinen Text mehr."

Ein idealer Ort, um sich mehrsprachig zu entwickeln

Der Studiengang Europäische Sprachen und Kulturen begrüßt jedes Jahr etwa hundert bis hundertzwanzig neue Studierende. Sie wählen eine Hauptsprache und ein Profil: Kultur und Literatur, Sprache und Gesellschaft oder Politik und Gesellschaft. Diese letzte Richtung und somit die Möglichkeit, Politik mit zum Beispiel Französisch oder Schwedisch zu kombinieren, machen den Studiengang in Groningen einzigartig. Und die Studierenden auch, potenziell zumindest. Michel: "Dieser Studiengang ist ein idealer Ort, um sich mehrsprachig zu entwickeln, damit man nach dem Abschluss nicht nur gut in Niederländisch und Englisch ist, sondern sich auch noch in einer zusätzlichen Sprache auszeichnet."

Das beschränkt sich dann nicht nur auf das Schreiben einer Abschlussarbeit in "wunderschönem Russisch, Schwedisch oder Französisch", schließt Michel ab. "Unsere Studierende halten ganze Kongresse in ihrer Zielsprache ab. Bei Französisch ist eine der Aufgaben auch immer, dem Präsidenten der Republik einen Vorschlag zu schreiben. Eine Studentin hat einen so guten Brief geschrieben, dass sie ihn an Macron geschickt hat." Superbe, oder was?

Letzte Aktualisierung:02 Mai 2024 14:36
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